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Das Leben mit einer alten Katze

Elanor ist inzwischen 18 Jahre alt. Am 11. September 2002 zog sie bei uns ein. Kein schlechtes Alter für eine Freigängerin. Aber inzwischen macht sich dieses Alter auch deutlich bemerkbar.

Elanor ist so gut wie taub. Eine Nachbarin erzählt mir neulich, dass sie aussteigen und sie vom Weg scheuchen muss, wenn sie mit dem Auto den schmalen Weg zu ihrem Garten fährt. Zum Glück ist der Weg so schmal, das dort sonst niemand fährt und Elanor liegt nur dort oder in den Vorgärten, nie auf der Straße.
Sollte ich sie einsperren, weil Freigang jetzt zu gefährlich ist? Vielleicht. Aber Elanor liebt nichts mehr als ihre Freiheit, kann seit 18 Jahren kommen und gehen, wie sie will. Ich will und kann ihr das in ihren letzten Wochen, vielleicht Monaten, nicht nehmen. Also leben wir mit dem Risiko.

Elanor kommt im Sommer nicht ins Haus. Schon seit einigen Jahren nicht mehr. Sogar ihr Futter will sie dann draußen. Erst im Winter kommt sie dann wieder nach drinnen. Ich bin gespannt, wann es dieses Jahr so weit ist. Zusammengekauert und zitternd sitzt sie inzwischen morgens im Vorgarten. Aber reinkommen? Nein, das will sie nicht.

Dabei hat sie nicht mehr viele Reserven um sich zu wärmen. 2.7 kg hat sie im Frühjahr noch gewogen, als wir das letzte Mal beim Tierarzt waren. Früher waren es mal 4 kg. Dabei frisst sie wie ein kleiner Scheunendrescher, gerade jetzt, wo es kälter wird. Aber sie bleibt Haut und Knochen. Wir haben die Nieren im Verdacht. Vielleicht auch den Pankreas. Der deutlich sichtbare Muskelabbau spielt sicher auch eine Rolle. Aber Hauptsache sie frisst.

Ihre Zähne? Über die reden wir besser nicht. Vor vier Jahren war sie das letzte Mal zur Zahnsanierung. Inzwischen ist alles wieder entzündet. Aber nochmal in Narkose? Mit 18, angemagert wie sie ist? Wir beschließen in Absprache mit der Tierärztin es nicht mehr zu riskieren. Sollte sie Probleme beim Fressen bekommen, dann werden wir Schmerzmittel geben. Zu Lasten ihrer angeschlagenen Nieren. Alles ist inzwischen ein Kompromiss.

Tierarzt ist für Elanor riesiger Stress. Und sie finden und einzufangen, um den Termin einzuhalten, ein Glücksspiel. Ja, im Idealfall würden wir sie mindestens zweimal im Jahr durchchecken lassen. Aber bei einer freiheitsliebenden Katzen wie ihr? Die eingesperrt sein hasst und Medikamente fein säuberlich aus jedem noch so gutem Versteck rauspräpariert? Also behalte ich ihren Allgemeinzustand selbst im Auge und gehe nur, wenn tatsächlich akut was ist. Ein weiterer Kompromiss.

Der letzte Vorfall: Tränende, eitrige Augen. Elanor bekommen Augentropfen verschrieben. Mit sanftem Festhalten und viel Belohnung und allen Tricks bekommen wir die etwa dreimal ins Auge. Das nächste Mal schreit Elanor wie am Spieß und faucht und wehrt sich. Vermutlich hat sie beim festgehalten werden Schmerzen. Zweimal bekommen wir danach noch je einen Tropfen in je ein Auge. Das war’s dann.
Die Augen werden zum Glück trotzdem besser. Und dann schlimmer. Sie fangen an zu eitern und ich überlege hin und her. Nochmal Tierarzt? Neuer Versuch mit den Tropfen? Am Ende kaufe ich erstmal künstliche Tränenflüssigkeit um zu trainieren und die Augen erstmal wenigstens auszuspülen.
Außerdem ein Nahrungsergänzungsmittel, das sie vielleicht, vielleicht freiwillig fressen könnte. Es ist nicht für die Augen, sondern die Gelenke. Aber – selten war ich so dankbar für meine THP-Ausbildung – es enthält genau die Inhaltsstoffe, die ich suche: Entzündungshemmend und schmerzlindernd. Und ganz ehrlich, ihre offensichtliche Arthrose kann den Rest auch brauchen.
Am ersten Tag frisst sie es mit großer Begeisterung. Am zweiten lässt die Begeisterung schon nach. Inzwischen rümpft sie eher die Nase und nur die Reste, die am Futter kleben, werden gnädigerweise noch mitgefressen.
Aber immerhin, die Augen werden wieder klar und hören auf zu tränen und zu eitern. Inzwischen kein Ausfluss mehr seit einer Woche. Insofern ein voller Erfolg. Ob der jetzt wirklich auf das Nahrungsergänzungsmittel zurückzuführen ist, ist im Endeffekt auch egal.

Vor ein paar Tagen dann hinkt Elanor mir am Morgen entgegen und ich sehe uns schon wieder beim Tierarzt. Bis ich merke, das eine ihrer Krallen extrem lang ist und am Boden schleift. Also den nächsten Schmuseanfall abwarten und dann schnell heimlich die Kralle kürzen. Elanor hat es gar nicht gemerkt und am Nachmittag läuft sie wieder so rund, wie man es von einer Arthrose geplagten, alten Katze erwarten kann.

Schmusen kommt sie momentan vor allem morgens, wenn sie durchgefroren ist von der Nacht. Aber reinkommen will sie ja nicht, egal, wie ich sie locke und es ihr anbiete und ihr verspreche, dass sie jederzeit wieder nach draußen kann, wie schon seit 18 Jahren. Aber geschlossene Türen sind doof und Elanor lehnt weiterhin ab. Also richten wir draußen ein paar gepolsterte Schlafplätze ein. Vielleicht entdeckt sie die ja für sich. In einem davon war sie immerhin schon einmal gelegen.

Ihr Schmusebedürfnis nutze ich inzwischen auch um sie zu bürsten. Denn das Fell am Rücken beginnt langsam zu verfilzen. Sie kommt selbst nicht mehr richtig ran, kann sie nicht mehr so putzen wie früher. Zum Glück findet sie gebürstet werden toll und wir können in Ruhe Fell entfilzen und lose Haare entfernen während wir schmusen.

Als sie dann genug hat und wieder loszieht, hebt sich kurz ihr Schwanz. Und ich sehe die Kotreste, die dort kleben. Also bringe ich zur nächsten Schmuse- und Bürstsession ein feuchtes Tuch mit und versuche mein Bestes, sie davon zu befreien. Feuchte Tücher findet Elanor aber blöd und überhaupt soll ich da hinten nicht rumhantieren. Ein wenig Kot können wir lösen. Beim nächsten Schmusen folgt ein neuer Versuch. Jetzt wandert Elanor erstmal wieder in den Nachbarsgarten und schaut nach dem Teich.

Mit einer alten Katze zu leben – gerade mit einem Freigeist wie Elanor – ist viel Arbeit und kostet Zeit und manchmal auch eine gute Portion Kreativität. Mehr noch aber kostet es Entscheidungen. Entscheidungen, was das beste ist, genau jetzt für genau diese Katze. Und dafür gibt es kein Patentrezept.
Einige mögen mir vielleicht vorwerfen, dass ich nicht öfter mit ihr zum Tierarzt gehe. Dass ich sie nicht ins Haus hole. Und ich kann diese Sichtweise durchaus verstehen. Aber ich weiß, für Elanor wäre eingesperrt sein eine Katastrophe.

Ich möchte, dass Elanor den Rest ihres Lebens, wie lang er auch immer noch sein mag, so gut genießen kann, wie es eben geht. Und ich treffe dabei die Entscheidungen, die ich für sie am besten halte. Von denen ich glaube, dass sie sie selbst treffen würde. Immerhin kenne ich diese Katze seit 18 Jahren.
Ich will, dass sie ihre Freiheit weiter genießen kann, auch wenn sie anders vielleicht eine Woche, vielleicht einen Monat länger leben könnte. Ich weiß, dass sie wahrscheinlich Schmerzen hat und tue mein Bestes diese Schmerzen so weit zu lindern, wie ich kann, ohne ihr das zu nehmen, was ihr Leben lebenswert macht.
Natürlich werde ich dabei auch von meinen eigenen Werten und Prioritäten geleitet. Jemand anderes würde vielleicht anders entscheiden und hätte damit nicht mehr und nicht weniger recht.

Ich glaube, das wichtigste im Leben mit einem alten Tier ist sein bestes zu tun, zum Wohl des Tieres. Ihm die Aufmerksamkeit zu schenken, die es verdient. Ihm „zuzuhören“, wenn es kommuniziert, was es will und braucht. Und auch, was es nicht will.
Jedesmal, wenn Elanor zusammengekauert vor der Tür sitzt denke ich mir: „Dir ist doch kalt. Komm doch rein und wärm dich auf.“ Aber das will sie nicht und ich respektiere sie zu sehr, um sie zu zwingen.

Elanor wird ihr Leben in Freiheit zu Ende leben, unterstützt von mir so gut ich es kann, bis zu ihrem letzten Tag. Das ist meine Priorität bei all unseren kleinen und großen Kompromissen. Ich weiß nicht, ob es die beste Entscheidung ist, aber es ist die, die sich jeden Tag aufs Neue richtig anfühlt. Wenn sie frühs vor der Tür sitzt und schon auf ihr Frühstück wartet, wenn sie im Vorgarten des Nachbarn in der Nachmittagssonne liegt und schläft, wenn sie immer noch versucht mich und Alys auf Spaziergänge zu begleiten, wenn sie in der Dämmerung Blätter fängt, wenn ich ihr am Abend gute Nacht sage in der Hoffnung, dass sie eine weiteren Tag bekommt, den sie genießen darf.

Ich weiß, sie ist alt. Ich weiß, es kann alles sehr schnell gehen. Aber ich weiß auch, dass ich jeden Tag genieße, den wir noch zusammen haben. Und ich weiß auch, dass Elanor sich geliebt und verstanden fühlt. Das zeigt sie mir jedes Mal, wenn sie zu mir kommt. Genauso wie ich weiß, wenn ich mal wieder besseres Futter hätte kaufen können. Denn auch das teilt sie mir unmissverständlich mit. Sie ist einfach ein kleiner Individualist und wird es auch immer bleiben. Zum Glück.

Ihr habt allgemeine Fragen zu Verhalten, Erziehung und Beschäftigung von Katzen? Schreibt mir gerne eine E-Mail an blog@felipaws.de mit euren Themenwünschen.